Was sind kognitive Fähigkeiten?
Christine Schmeck: Kognitive Fähigkeiten sind alle Fähigkeiten, die zur Informationsverarbeitung genutzt werden. Das heißt, alles was das Denken, Verstehen und Wissen betrifft. Alles was wir mit unseren Sinnen aufnehmen und verarbeiten, greift auf unsere kognitiven Fähigkeiten zurück. Daher ist das nichts Homogenes. Es betrifft verschiedene Funktionen und Fähigkeiten.
Warum ist eine gute Kognition wichtig?
Christine Schmeck: Das ist schon allein für unsere Alltagskompetenz wichtig: sich Dinge merken zu können, sich Verhaltensweisen anzueignen, aufmerksam zu sein, sich zu erinnern, Erfahrungen abspeichern, Abstraktion, Dinge miteinander in Verbindung bringen, das emotionale Gedächtnis. Es geht nicht nur darum, Dinge rational zu erfassen, zu wissen oder zu verstehen. Unsere kognitiven Fähigkeiten zeigen wie wir Probleme lösen, logisch denken oder wie wir Eindrücke und Informationen einordnen und verarbeiten können.
Woran merkt man, dass kognitive Fähigkeiten abbauen?
Christine Schmeck: Ganz alltäglich merkt man es daran, dass man sich beispielsweise schlechter konzentrieren kann und schneller ablenken lässt. Ein weiteres Beispiel wäre, wenn es schwerfällt, sich zu entscheiden oder sich an gewisse Sachen zu erinnern. Aber auch eine geringe Motivation, zunehmende Müdigkeit oder nicht mehr adäquates Reagieren auf alltägliche Situationen, können Anzeichen eingeschränkter Kognition sein.
Die höchste kognitive Leistungsfähigkeit erreichen wir etwa im Alter von 30 Jahren. Im Alter von 50 Jahren beginnt langsam der Abbau von Nervenzellen. Das ist jedoch nur ein grober Schnitt. Denn es gibt dabei sehr große intra- und interindividuelle Unterschiede. Das kognitive Leistungsniveau zeigt also eine große Varianz innerhalb eines Individuums und zwischen gleichaltrigen Individuen. Man kann aber auch einfach kognitiven Abbau bemerken, wie beispielsweise in der Corona-Pandemie. Man hat weniger Einflüsse von außen und weniger Stimulation. Das kann auch die kognitiven Fähigkeiten beeinflussen. Motivation, soziale Kontakte, Austausch sind wichtige Faktoren für die Kognition. Wenn diese abnehmen, kann es auch sein, dass die kognitiven Funktionen darunter leiden. Es hat nicht nur biologische Ursachen.
Was können denn weitere biologische Ursachen für kognitive Störungen sein?
Christine Schmeck: Kognitive Störungen können auf fortschreitende oder einmalige Ursachen zurückzuführen sein. Die Ursachen und Anzeichen für kognitive Störungen könne stark variieren. Es gibt chronische Erkrankungen, die die Kognition beeinträchtigen, die mit der Zeit immer intensiver werden. Das kann sich auf vielerlei Weise äußern. Ich denke, die Erkrankung, die vielen bekannt ist, ist Demenz. Der Begriff umschreibt eine große Bandbreite an, welche sich durch fortschreitende Einschränkungen bis hin zum Verlust kognitiver Funktionen äußern. Dazu gehören Defizite des Orientierungssinns, des Gedächtnisses oder in der Sprache. Es sind vorrangig Personen im höheren Lebensalter betroffen. Die Ursache hängt ab von der Demenzform und ist nicht endgültig geklärt.
Des Weiteren kann auch eine Depression, der Konsum von Alkohol oder Drogen für kognitive Störungen verantwortlich sein. Aber auch einmalige Auslöser, wie beispielsweise ein Gehirntumor oder ein Schlaganfall, können die geistige Leistungsfähigkeit stark beeinträchtigen.
Zur Abklärung der dahinterliegenden Ursache sollte daher unbedingt ein Arzt aufgesucht werden.
Was versteht man unter “kognitives Training”?
Christine Schmeck: Kognitives Training trainiert nicht nur Gedächtnisleistung - daran denkt man vielleicht zuerst, Stichwort: Gehirn-Jogging. Man trainiert alle kognitiven Funktionen. Die Übungen sprechen nicht nur das Erinnerungsvermögen, sondern auch Konzentration, Aufmerksamkeit, Verarbeitungsgeschwindigkeit oder logisches Denken an. Kognitives Training heißt, die Funktionen, die man hat oder eingeschränkt wurden, zu erhöhen. Das kann präventiv passieren oder wenn man kognitive Einschränkungen bemerkt.
Die Möglichkeit ein kognitives Training zu machen, besteht bis ins hohe Alter. Es ist natürlich im hohen Alter schwieriger, aber die Möglichkeit bleibt erhalten. Selbst wenn ich vielleicht genetisch oder biologisch bedingt eine leichte Beeinträchtigung oder Veranlagung habe, nicht auf das gleiche kognitive Level wie jemand anderes zu kommen, kann ich es trotzdem trainieren. Ich kann Einfluss nehmen auf mein Gehirn und meinen neurologischen, biologischen Status. Das bedingt sich gegenseitig.
Je abwechslungsreicher die Übung, desto besser ist sie für die Kognition. Wenn man Sudoku trainiert, kann man danach Sudoku. Aber man kommt nicht besser im Alltag zurecht. Man muss variieren und sich immer neuen Herausforderungen stellen. So bleibt auch die Motivation erhalten.
Man sollte alle kognitiven Fähigkeiten trainieren, also nicht nur das Erinnerungsvermögen, sondern beispielsweise auch Konzentration und Aufmerksamkeit.
Das Training sollte so viele Sinne wie möglich ansprechen.
Regelmäßiges Training und ein abwechslungsreicher Alltag helfen unsere kognitiven Fähigkeiten zu schulen.
Man sollte den Spaß dabei nicht vergessen. Spaß ist ein wichtiger Faktor, um am Ball zu bleiben. Das kann einem leichterfallen, wenn man mit jemandem zusammen trainiert. Wenn wir Spaß haben, wird der Neurotransmitter Dopamin ausgeschüttet. Dieser ist wichtig, für den Lerneffekt.
Auch körperliche Bewegung spielt eine Rolle. Der abendliche Spaziergang kann kognitives Training sein. Wenn wir uns bewegen, wird das Gehirn besser mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt. Hier merkt man meist bereits den kurzfristigen Effekt, dass man sich nach dem Spaziergang besser konzentrieren kann. Langfristig ist bewiesen, dass ein aktiver Lebensstil dem altersbedingten, kognitiven Abbau entgegenwirkt.
Wie kann man kognitive Fähigkeiten trainieren? Wie funktioniert kognitive Aktivierung?
Christine Schmeck: Man kann mit ganz alltäglichen Dingen selbstständig kognitive Fähigkeiten trainieren. Wir machen das zum Teil sowieso schon ganz unbewusst im Alltag. Zum Beispiel, wenn wir uns Termine oder eine Einkaufsliste merken, uns an eine Telefonnummer erinnern. Dadurch trainieren wir schon. Das reicht jedoch nicht aus, um kognitive Fähigkeiten zu steigern. Dafür brauchen wir Herausforderungen für das Gehirn. Man kann es vergleichen, mit dem Besuch im Fitnessstudio. Wenn man hier Erfolge hat, sieht man, dass die Muskeln wachsen. Im Gehirn sieht man das nicht. Aber es funktioniert auch wie ein Muskel, den man trainieren kann. Das zeigt, es ist wichtig, kognitives Training regelmäßig durchzuführen. Es ist besser sich jeden Tag fünf Minuten damit zu beschäftigen, als einmal im Monat eine Stunde lang.
Erste Übung: Ich gehe einkaufen und bleibe ausschließlich bei der Einkaufsliste, die ich zuvor notiert habe, aber nicht mitnehme. Das erfordert schon einmal Aufmerksamkeit und Konzentration. Wenn ich aus dem Supermarkt herauskomme, überlege ich auf dem Weg nach Hause, was ich denn nun alles in meiner Tüte habe. Hier wird das Gedächtnis und das Erinnerungsvermögen trainiert.
Zweite Übung: Ich stelle mir eine Frage. Was habe ich vorgestern zum Abendessen gegessen? Was habe ich letztes Jahr von meiner Schwester zum Geburtstag bekommen? Das trainiert das Gedächtnis und die Konzentration.
Dritte Übung: Ich lese einen Artikel in einer Zeitung. Danach markiere ich jeden Buchstaben “N”. Hier merkt man schnell Trainingseffekte. Man kann jedes Mal, wenn man diese Übung macht, die Zeit stoppen. Beim nächsten Mal sieht man dann vielleicht: Ich war schon schneller! Hier steigert man Aufmerksamkeit und Konzentration.
Vierte Übung: Wir machen eine alltägliche Tätigkeit. Für das kognitive Training machen wir sie aber mal anders! Beispielsweise als Rechtshänder mal mit der linken Hand essen oder Zähne putzen. Für den Arbeitsweg wählen wir einfach mal eine andere Route. Oder wir versuchen beim Kochen mal ein neues Rezept. Alles was nicht in unseren Standardwegen erfolgt, sorgt dafür, dass neue Verknüpfungen hergestellt werden.