Im Rahmen einer COVID-19-Erkrankung wurde beobachtet, dass einige PatientInnen eine diabetische Stoffwechsellage entwickelten. Dies wirft die Frage auf, ob eine COVID-19-Erkrankung einen Diabetes mellitus auslösen kann. Ein 2020 im New England Journal of Medicine veröffentlichter Artikel fasste die Datenlage zu diesem Thema zusammen: Es gibt Hinweise darauf, dass eine Infektion mit SARS-CoV-2 zu einem Diabetes führen kann.
Diabetes mellitus beschreibt eine Gruppe von Stoffwechselerkrankungen, bei denen die Regulation des Blutzuckers gestört ist. Es handelt sich um ein komplexes System, das durch verschiedenste Faktoren beeinflusst wird. Infektionen können durch eine vermehrte Freisetzung von Stresshormonen zu Blutzuckerentgleisungen führen.
Weltweit haben MedizinerInnen eine wechselseitige Beziehung zwischen Diabetes mellitus und einer COVID-19-Erkrankung beobachtet. Eine Studie mit 658 stationär behandelten COVID-19-PatientInnen legt nahe, dass COVID-19 eine Ketose oder Ketoazidose bzw. eine diabetische Ketoazidose bei Menschen mit vorbekanntem Diabetes ausgelöst hat. Eine Ketose war in der Studie mit einem längeren Krankenhausaufenthalt und einer höheren Sterberate assoziiert.
Eine Ketose ist eine Stoffwechsellage, bei der der Körper die Glukose im Blut aufgrund eines Insulinmangels nicht mehr in die Zellen aufnehmen und als Energie verwerten kann. Deshalb steigt er auf alternative Energielieferanten, sogenannte Ketone, um. Ketonkörper sind „sauer“ und können durch die Ansäuerung des Körpers (Ketoazidose) zu lebensbedrohlichen Komplikationen führen.
Weiterhin ist ein präexistierender Diabetes mellitus ein Risikofaktor für einen schweren Verlauf von COVID-19. Infektionen steigern den Bedarf an Insulin. Eine COVID-19-Erkrankung kann bei Menschen mit bestehendem Diabetes ebenfalls zu hohen Blutzuckerwerten bis hin zur Ketoazidose führen.
Was passiert dabei im Körper?
Eine am Universitätsklinikum Ulm durchgeführte Studie untersuchte, wie es zu den Diabetes-typischen Symptomen bei COVID-19-PatientInnen kommen könnte.
In dieser Studie brachten die Forschenden Gewebe der Bauchspeicheldrüse mit SARS-CoV-2 im Labor in Kontakt. Die Bauchspeicheldrüse produziert u. a. Insulin und ist somit ein zentrales Organ der Blutzuckerregulation.
Die Insulin-produzierenden Zellen des Pankreas, fachsprachlich als Langerhans Inseln bezeichnet, exprimieren die körpereigenen Proteine TMPRSS und ACE2. Über den mit diesen Proteinen assoziierten Mechanismus kann das SARS-CoV-2-Virus in Zellen eindringen. Weiterhin kann sich das Virus in diesen Zellen vervielfachen. Es kommt zu Veränderungen der Zellen. Interessanterweise kam es bei einigen der infizierten Zellen zu einer verminderten Freisetzung von Insulin als Antwort auf einen Glukosereiz.
Diese Untersuchungen wurden im Labor durchgeführt, sodass die Forschenden weiterhin Pankreasgewebe von vier Menschen untersucht haben, die an einer COVID-19-Erkrankung verstorben sind. Drei von diesen litten zum Zeitpunkt der Einweisung an einer Ketose. An diesem Gewebe konnte eine Infektion mit SARS-CoV-2 nachgewiesen werden.
Eine verminderte Insulinausschüttung könnte die erhöhten Blutzuckerwerte und Entstehung einer Ketose bis hin zur Ketoazidose erklären. Dies wäre analog zum Krankheitsmechanismus des Diabetes mellitus Typ 1.
Zu beachten ist bei dieser Studie, dass es sich um eine sehr kleine Anzahl an Untersuchungen außerhalb des menschlichen Körpers handelt. Es sind weitere Untersuchungen notwendig, um diese Ergebnisse zu stützen und weitere Rückschlüsse ziehen zu können.
Zusammenfassend ließ die Studie aus dem Jahr 2020 also vermuten, dass eine COVID-19-Erkrankung zu Veränderungen der Pankreasfunktion führen und einen Diabetes mellitus verursachen könnte. Im Jahr 2022 wurde eine weitere Studie zu diesem Thema von Forschenden der Universität Athen in Griechenland veröffentlicht. Diese kam zu dem Ergebnis, dass ein vorbestehender Diabetes mellitus den Krankheitsverlauf bei COVID-19 verschlechtert. Außerdem wurde ein Zusammenhang zwischen COVID-19 und dem Neuauftreten von Diabetes Typ 1, insbesondere bei Kindern, beschrieben. Dabei sind die biologischen Mechanismen noch nicht abschließend geklärt.
Bemerkenswert ist, dass es bereits einen bekannten Zusammenhang zwischen Diabetes mellitus und anderen Infektionen gibt. Das Rötelvirus ist zum Beispiel mit der Entstehung eines Diabetes mellitus Typ 1 assoziiert, das Hepatitis-C-Virus wiederum mit der Entstehung eines Diabetes mellitus Typ 2.
Um diese Zusammenhänge noch weiter zu untersuchen, wurde ein globales Register für die Entwicklung eines Diabetes in Zusammenhang mit einer COVID-19-Erkrankung etabliert (CoviDiab).
Aktuelle Empfehlungen für Personen mit Diabetes
[Stand März 2021] Menschen mit bestehender Diabetes-Erkrankung haben ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf einer COVID-19-Erkrankung. Daher ist es umso wichtiger, einer Infektion vorzubeugen.
Für den Fall einer COVID-19-Erkrankung bei Menschen mit Diabetes mellitus gilt:
Telefonische oder Videosprechstunde mit behandelnden ÄrztInnen und/oder Diabetes-Team
Ausreichend Hilfsmittel (z. B. Blutzuckerteststreifen) und Medikamente für mögliche Quarantäne bereithalten
„Hypo-Helfer“ zum Entgegenwirken von Unterzuckerungen bevorraten (z. B. Traubenzucker, Orangensaft)
Regelmäßigen Kontakt halten zu Angehörigen und FreundInnen
Für alle Menschen steht weiterhin die Prävention einer Infektion im Vordergrund. Dazu gehört v. a. das Einhalten von Hygiene- und Abstandsregeln.
Weitere Informationen zum Thema Diabetes und Corona gibt es auch von der Deutschen Diabetes Hilfe.
Quellen
Li J, Wang X, Chen J, et al.: COVID‐19 infection may cause ketosis and ketoacidosis. Diabetes ObesMetab 2020; 22: 1935–41.
Kazakou P, Lambadiari V, Ikonomidis I, et al.: Diabetes and COVID-19; A Bidirectional Interplay. Front Endocrinol (Lausanne) 2022; 13: 780663.
Hyperglykämisches Koma. AMBOSS. 2022. https://www.amboss.com/de/wissen/hyperglykamisches-koma (zugegriffen 3. Januar 2023)
Rubino F, Amiel SA, Zimmet P, et al.: New-Onset Diabetes in Covid-19. N Engl J Med 2020; 383: 789–90.
Müller JA, Groß R, Conzelmann C, et al.: SARS-CoV-2 infects and replicates in cells of the human endocrine and exocrine pancreas. Nat Metab 2021; 3: 149–65.