Hochrechnung: So viel Zeit verlieren die Deutschen durch Arztbesuche
Terminfindung, Anfahrt, Wartezeit, Behandlung, Rückfahrt – ein Besuch beim Arzt kann schnell viel Zeit und Nerven kosten. Fernarzt hat vier mögliche Hochrechnungen aufgestellt, wie viel Zeit unterschiedliche Personengruppen jährlich beim Arzt verbringen. Die Erläuterungen, woher die einzelnen Werte für die Berechnungen stammen, finden sich im anschließenden Report.
Die Hochrechnungen können nur grobe Werte abbilden und erheben keinen Anspruch auf Richtigkeit. Abweichungen, bspw. durch Verkehrsaufkommen o. Ä., wurden nicht berücksichtigt.
15 Mal im Jahr zum Arzt?
Da 2008 die Abrechnung mit Versicherten- und Grundpauschalen eingeführt wurde, lässt sich nicht mehr genau erfassen, wie oft ein Patient jährlich Kontakt mit einem Arzt hat. Allerdings kann nachvollzogen werden, an wie vielen Tagen Arztpraxen mindestens eine Leistung für einen bestimmten Versicherten erbringen. Dem Arztreport 2019 der BARMER zufolge waren es 2017 durchschnittlich 15 Tage mit Leistungsabrechnung. Dieser Wert kommt am ehesten dem Wert der Arztkontakte nahe, unter den u. a. Praxisbesuche, Diagnosen oder auch Anrufe sowie das Abholen eines Rezepts fallen können.
Die Zahl der Tage mit Leistungsabrechnung ist stark alters- und geschlechtsabhängig. Den geringsten Wert von 6,5 Tagen erreichen Männer im Alter von 20 bis 24 Jahren. Mit 13 Tagen ist der Wert bei Frauen im gleichen Alter doppelt so hoch, was vermutlich damit zusammenhängt, dass Frauen im gebärfähigen Alter zwecks Verhütung und Familienplanung häufiger ihren Gynäkologen aufsuchen. Erst im höheren Alter nähern sich die Werte für beide Geschlechter aneinander an.
Besonders interessant: Ab 75 Jahren ist die Anzahl der Tage mit Leistungsabrechnung bei Männern höher als bei Frauen und erreicht in der Altersgruppe 85 bis 89 den Höchstwert von 32 Tagen.
Wie oft die Deutschen tatsächlich zum Arzt gehen, lässt sich nur schwer ermitteln. Einer Befragung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) im Jahr 2019 zufolge waren die meisten Befragten drei bis fünf Mal beim Arzt. Die Werte für Haus- und Facharztbesuche fallen dabei noch einmal auseinander. Hausärzte werden deutlich häufiger aufgesucht als Fachärzte.
Vor allem junge Frauen im Alter von 18 bis 34 Jahren weisen einen deutlich höheren Prozentsatz an über zehn Arztbesuchen (17 %) auf als Männer im gleichen Alter (7 %).
Überraschend: Mehr Hausärzte pro Kopf auf dem Land als in der Stadt
Das Thema Ärztemangel steht seit Jahren im medialen Fokus und löst öffentliche Diskussionen aus. Dabei ist die Zahl der Ärzte in den letzten Jahren gestiegen, sodass heute pro Einwohner mehr Ärzte zur Verfügung stehen als noch vor zwanzig Jahren. Die Anzahl der Ärzte allein reicht jedoch nicht, um den Bedarf angemessen abzubilden. Der demografische Wandel führt zu einer Zunahme der älteren Bevölkerung, die eine besonders hohe Anzahl von Leistungsabrechnungen aufweist (siehe Abschnitt 1). Dem statistischen Bundesamt zufolge liegt der Prozentsatz der Personen, die 65 Jahre und älter sind, aktuell bei 22 % – 2060 soll er bei 31 % liegen. Hinzu kommt, dass Ärzte vermehrt nur in Teilzeit arbeiten, sodass sich der KBV zufolge lediglich ein Plus der vertragsärztlichen Kapazitäten von 0,2 % für das Jahr 2018 im Vergleich zum Vorjahr ergeben hat. Ergo: Die angebotenen Gesundheitsleistungen können mit dem steigenden Bedarf in Deutschland nicht mithalten.
Besonders die Anwohner ländlicher Regionen beklagen vielfach den Mangel von Fachärzten. Um zu prüfen, ob die Dichte auf dem Land tatsächlich geringer ist als in der Stadt, hat Fernarzt die Ärztedichte für unterschiedliche Facharztgruppen in 96 Raumordnungsregionen untersucht. Anhand der siedlungsstrukturellen Regionstypen des Bundesinstituts für Bau-, Stadt-, und Raumforschung (BBSR) wurden diese zunächst in folgende drei Gruppen unterteilt:
Untersucht wurde die Dichte von Hausärzten, Hautärzten, Gynäkologen und Urologen, um die größte Arztgruppe (Hausärzte) mit geschlechtsspezifischen (Gynäkologen, Urologen) und einer geschlechtsübergreifenden Arztgruppe zu vergleichen. Anhand der Daten der KBV zur Ärztedichte in den jeweiligen Raumordnungsregionen konnten Durchschnittswerte für die drei Regionstypen ermittelt werden. Die Ergebnisse bestätigen: In ländlichen Regionen sind weniger Gynäkologen, Hautärzte und Urologen je Einwohner verfügbar. Die Zahl der Hausärzte hingegen ist auf dem Land jedoch höher als in der Stadt. Entscheidender Unterschied zwischen Stadt und Land ist allerdings auch der Anfahrtsweg zur nächsten Arztpraxis (siehe Kapitel Anfahrtswege).
Jeder 7. wartet über drei Wochen auf einen Arzttermin
Der Großteil der Patienten – aktuell 29 % – erhält sofort einen Termin. Diese Zahl ist in den letzten Jahren leicht gesunken. Gestiegen ist dagegen der Anteil der Patienten, die über drei Wochen auf einen Arzttermin warten müssen, nämlich von 9,8 auf satte 15 %. Das entspricht somit dem zweithäufigsten Wert. Weitere 11 % warten bis zu eine Woche auf einen Termin, 9 % warten zwei bis drei Tage und die geringste Zahl der Patienten, aktuell nur 6 %, bekommen am nächsten Tag einen Termin.
Doch wie lange Patienten bis zur Behandlung ausharren müssen, ist nicht bei jedem Arzt gleich. Eine aktuelle Befragung zeigt: Bei Frauenärzten ist die Wartezeit besonders hoch. Hier warten 73 % der Patientinnen über drei Tage auf ihren Termin. Auch bei Kardiologen, Psychiatern und Augenärzten müssen die Deutschen geduldig sein. Beim Hausarzt geht es verhältnismäßig schnell: 58 % der Patienten können ihren Termin sofort wahrnehmen, 19 % warten bis drei Tage und nur 21 % mehr als drei Tage.
Jeder 4. Landbewohner muss über 20 Kilometer zum nächsten Hautarzt fahren
Wie lang die Patientin bzw. der Patient braucht, um die nächste Arztpraxis zu erreichen, ist je nach Wohnort sehr unterschiedlich. Die Arztdichte spielt hier natürlich eine entscheidende Rolle. Wer auf dem Land lebt, muss dementsprechend oft eine weitere Entfernung zurücklegen als Städter, wo das Angebot an Arztpraxen größer ist.
Der Weg zum Allgemeinmediziner beträgt für die meisten Patientinnen und Patienten weniger als 2 Kilometer – das gab in einer Studie der Bertelsmann Stiftung und der Barmer GEK rund die Hälfte der Befragten an (51 % der auf dem Land lebenden und 56 % in Städten lebenden Befragten). Zwischen 2 und 10 Kilometern benötigen 42 bzw. 37 % der Befragten.
Anders sieht es jedoch aus, wenn ein Facharzt aufgesucht werden muss. Um einen Gynäkologen zu erreichen, müssen 15 % der Landbevölkerung über 20 Kilometer zurücklegen – bei der Stadtbevölkerung sind es hingegen nur 5 %. Noch drastischer sieht es bei Hautärzten aus: Fast ein Viertel der auf dem Land lebenden Patienten hat einen Anfahrtsweg von über 20 Kilometern, in der Stadt hingegen ist dies nur für 6 % der Patienten der Fall.
Schnell im Behandlungszimmer, schnell wieder draußen
Vom Wartezimmer direkt zur Behandlung? Das ist die absolute Seltenheit. Je 29 % der gesetzlich und der privat versicherten Patienten warten bis zu 30 Minuten auf ihre Behandlung. Weitere 17 % und 13 % der privat Versicherten kommen erst nach einer Stunde ins Behandlungszimmer und 8 bzw. 2 % warten sogar bis zu zwei Stunden. Allgemein kommen privat Versicherte deutlich schneller ins Behandlungszimmer (39 % schon nach 15 Minuten und 13 sogar ganz ohne Wartezeit), während gesetzlich Versicherte schnell mal bis zu einer Stunde oder länger warten.
Wie lange es im Einzelfall dauert, ist aber auch von der Art des Arztes abhängig. Wie aktuelle Umfrageergebnisse der KBV zeigen, haben Patientinnen und Patienten beim Facharzt eher das Glück, innerhalb von 15 Minuten ins Behandlungszimmer gebeten zu werden.
Einmal im Wartezimmer, geht es dann oft sehr schnell. Laut einer Studie des Fachjournals BMJ Open dauert ein durchschnittliches Arzt-Patienten-Gespräch in Deutschland gerade einmal 7,6 Minuten.
Wo Telemedizin Abhilfe schaffen kann
Der Ärztemangel hat nicht nur zur Folge, dass Patientinnen und Patienten teilweise lange auf einen Termin warten müssen. Auch können die Anfahrtszeiten je nach Wohnort sehr lang sein, vor allem in ländlichen Gegenden. Selbst wenn der eigentliche Termin im Durchschnitt weniger als zehn Minuten dauert: Inklusive der Wartezeiten auf Termin und in der Praxis, der Behandlung selbst und der Hin- und Rückfahrt kostet der Gang zum oft Arzt Zeit und Nerven, die sich viele Patientinnen und Patienten gerne sparen würden, besonders wenn es sich um Routinevorgänge handelt wie das Abholen von Rezepten oder die regelmäßige Kontrolle von Gesundheitswerten. Doch was ist die Alternative?
Der Studie „Digitalisierung im Gesundheitswesen“ von McKinsey zufolge ließen sich durch Onlineinteraktionen wie die Teleberatung, Fernüberwachung chronisch kranker Patienten, oder auch die E-Triage (Vorabklärung, ob ein Besuch in der Notaufnahme, Beratung zur Primärversorgung oder Nachsorge nötig ist) nicht nur Zeit, sondern sogar bis zu 8,9 Milliarden Euro jährlich im deutschen Gesundheitswesen einsparen.
Das Fachmagazin E-HEALTH-COM berichtet zudem, dass die Videosprechstunde zu einer enormen Entlastung der Notfallversorgung würde. 20 % der befragten Patienten, die ursprünglich eine Notfalleinrichtung aufsuchen wollten, gaben an, nach der Videoberatung keinen weiteren Arzt aufzusuchen, weitere 25 % würden sich statt in die Notfallversorgung zum Hausarzt begeben.
Während in anderen Ländern die Telemedizin schon längst Einzug in Arztpraxen gehalten hat, waren ausschließliche Fernbehandlungen in Deutschland bis vor Kurzem nicht erlaubt. Auf dem 121. Deutschen Ärztetag im Mai 2018 wurde jedoch die Entscheidung zur Änderung des sogenannten Fernbehandlungsverbots getroffen und hierdurch grundlegende Voraussetzungen für Telemedizinanbieter geschaffen. So können seitdem auch Patienten, welche zuvor keinen persönlichen Kontakt mit dem entsprechenden Arzt hatten, per Fernbehandlung wie zum Beispiel Videosprechstunde, Telefon oder Fragebogen behandelt werden. Voraussetzung dafür ist insbesondere, dass die Fernbehandlung ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt gewahrt wird. Fernbehandlung kann also vor allem bei unkomplizierten Anfragen oder Nachbehandlungen sowohl auf Arzt- als auch auf Patientenseite für Entlastung sorgen. Dabei kann und soll sie jedoch nicht den persönlichen Arztkontakt ersetzen, sondern lediglich als Unterstützung dienen. Insbesondere für körperlich und mobil eingeschränkte Patienten sind Entwicklungen, wie die Fernbehandlung oder auch die Bestellung von Rezepten und Medikamenten über das Internet, regelmäßig eine Möglichkeit, Wege, Zeit und Nerven zu sparen.
Betrachtet man die von Fernarzt gewählten Personengruppen zu Beginn dieses Reports, wird schnell deutlich, wie viel Zeit die Betroffenen sparen könnten. Frauen, die die Pille zur Verhütung nutzen, können durch eine Onlinebestellung in der Regel z. B. fast zwei Stunden jährlich allein für die Rezeptabholung sparen (die Vorsorgeuntersuchung hingegen muss weiterhin persönlich durchgeführt werden).
Auch der „Durchschnittspatient“ könnte einiges an Zeit gewinnen: Wenn nur einer der durchschnittlich 5 Arzttermine, die ein deutscher Patient jährlich in Anspruch nimmt, durch eine telemedizinische Behandlung ersetzt würde, könnte jeder Patient im Jahr 53 Minuten gewinnen. Am eindrucksvollsten ist sicherlich der Effekt für die „Extremfälle“ mit über 10 Arztbesuchen jährlich und einem Anfahrtsweg von über 20 Kilometern: Würden auch hier 20 % der Arztbesuche ersetzt werden, wäre eine Ersparnis von über vier Stunden jährlich möglich. Zeit, die wiederum anderen Patienten vor Ort zugutekommen würde. Jeder Schritt in diese Richtung kann also dazu dienen, das erhöhte Patientenaufkommen und die begrenzte Ressource Arzt besser aufeinander abzustimmen.
Quellen
Bertelsmann Stiftung & Barmer GEK (2016): Gesundheitsmonitor 2016. Abrufbar hier
Bundesärztekammer: Ärztestatistik zum 31. Dezember 2018. Abrufbar hier
E-HEALTH-COM (2019): Videosprechstunden in der Notfallversorgung. Abrufbar hier
Grobe, T., Steinmann, S. & Szecsenyi, J. (2019): Barmer Arztreport 2019. Schriftenreihe zur Gesundheitsanalyse. Abrufbar hier
Kassenärztliche Bundesvereinigung (2018): Gesundheitsdaten. Mehr Ärzte, aber kürzere Arbeitszeiten. Abrufbar hier
Kassenärztliche Bundesvereinigung (2018): Gesundheitsdaten. Regionale Verteilung der Ärzte in der vertragsärztlichen Versorgung. Abrufbar hier
Kassenärztliche Bundesvereinigung (2019): Versichertenbefragung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung 2019. Abrufbar hier
McKinsey (2018): Digitalisierung im Gesundheitswesen: Die Chancen für Deutschland. Abrufbar hier
Statistisches Bundesamt (2019): 14. Koordinierte Bevölkerungshochrechnung für Deutschland. Abrufbar hier
Statista (2017): So lang dauert ein Arztbesuch weltweit. Abrufbar hier