Worin liegt Ihre Expertise?
Dr. Friedrich Gagsteiger: Die gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin sind mein Spezialfach. Insbesondere arbeite ich seit über dreißig Jahren für Paare mit unerfülltem Kinderwunsch. „Schwanger werden“ scheint etwas ganz Natürliches zu sein, aber es ist auch so kompliziert, dass selbst kleine Störungen eine Schwangerschaft und die Geburt eines gesunden Babys verhindern können. Durch eine sorgfältige Untersuchung und viel Erfahrung finden wir heraus, woran es liegen könnte, was verändert werden muss und welche Therapie geeignet sind.
Hier entstehen meist sehr viele und zeitkritische Fragen, die in der normalen Gynäkologie-Sprechstunde gar keinen Platz haben. Und wenn die Schwangerschaft nicht eintritt, entsteht ganz akut ein großer Leidensdruck. Hier ist das Bedürfnis nach sorgfältiger Beratung groß.
Meine PatientInnen sind vor allem Paare, die schon länger versuchen, sich ihren Kinderwunsch zu erfüllen, bislang aber mit den üblichen Methoden gescheitert sind und schon bei einem oder mehreren ÄrztInnen waren. Oft wünschen Sie sich eine zweite Meinung.
Manchmal ist es sehr leicht, der Natur auf die Sprünge zu helfen. Aber es gibt auch Fälle, in denen komplizierte Behandlungen mit einer Befruchtung außerhalb des Körpers (In-vitro-Fertilisation IVF) oder sogar Intracytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) notwendig wird.
Die Behandlungen, vor allem die angebotenen Zusatzbehandlungen, sind oft sehr kostspielig. Häufig übernehmen Krankenkassen nur einen Teil, nicht aber die Behandlungen, die als „State-of-the-Art“ nach neuesten medizinischen Erkenntnissen gelten. Auch unterscheidet es sich von Bundesland zu Bundesland, wieviel finanziell unterstützt wird.
Mit welchen Befunden und Beschwerden kommen PatientInnen zu Ihnen?
Dr. Friedrich Gagsteiger: Eine sehr wichtige Untersuchung, das Spermiogramm, dient dazu, die Samenqualität des Mannes zu beurteilen. Dies Untersuchung ist sehr leicht durchzuführen. Aber Männer sind scheu und oft wird vorher viel Zeit verloren.
Das Ergebnis wird oft viel zu optimistisch ausgelegt. Zwar gibt es in der Urologie eine Spezialausbildung, Andrologie genannt. Diese beschäftigt sich mit der Fortpflanzungsfähigkeit des Mannes. Doch Männer mit einer Samenqualität unterhalb der Durchschnittswerte werden oft so informiert, dass ihre Werte noch im unteren Normalbereich liegen. Der Grenzwert ist erst dann erreicht, wenn 95 Prozent aller anderen Männer ein besseres Spermiogramm haben. Oft kommt der lapidare Satz: „Wenn ein Spermium gesichtet wird, ist auch eine Schwangerschaft möglich“. Männer können durch Änderung ihres Lebensstils einiges tun, um fruchtbarer zu werden. Hier ist Beratung notwendig.
Bei den Frauen ist es wichtig, dass der Zyklus möglichst optimal abläuft. Jeder Zyklus ist die Vorbereitung auf eine Schwangerschaft. Eine Eizelle reift heran, es kommt zum Eisprung gefolgt von der Gelbkörperphase. Hier kommt es oft zu Unregelmäßigkeiten. Der Zyklus kann verlängert sein, die Qualität der Eizellreifung kann schwanken. Dann muss oft unterstützt werden.
Bei Kinderwunsch sollte die gesamte Vorgeschichte des Kinderwunschpaares sorgfältig geprüft werden. Liegen Begleiterkrankungen vor? Hatte die Frau vielleicht bereits eine Eileiterentzündung, eine Fehlgeburt oder eine Ausschabung? Auch Endometriose macht Probleme bei Kinderwunsch. Bei dieser Erkrankung kommt es zur Ausschüttung von Menstruationsblut durch den Eileiter in den Bauchraum. Dabei werden Körperzellen verschleppt, die sich innerhalb der Gebärmutterschleimhaut aufbauen. Aber leider an der falschen Stelle – im Bauchraum, im Eierstock oder im Eileiter. Das führt zu Reparaturversuchen des Körpers, zu Verwachsungen, zu Verklebungen und zu Schmerzen. Die Fruchtbarkeit der Frau kann durch diese Erkrankung sehr eingeschränkt werden. Hat man den Verdacht auf Endometriose wird oft eine Bauchspiegelung empfohlen.
Welche Chancen sehen Sie für die Telemedizin in der Kinderwunschberatung?
Dr. Friedrich Gagsteiger: Ich denke der Kinderwunsch hat großen Beratungsbedarf. Beratung lässt sich telemedizinisch sehr gut durchführen. Im Laufe der Pandemie haben wir in unserer Praxis sämtliche Beratungen per Videosprechstunde angeboten. Am Vormittag wurden Untersuchungen, Blutabnahmen und Behandlungen durchgeführt, die vor Ort stattfinden mussten wie beispielsweise ein Ultraschall, nachmittags dann fast ausschließlich die Videoberatungen. Das praktizieren wir nun seit gut zwei Jahren mit sehr gutem Erfolg. In der medizinischen Versorgung müssen wir uns immer wieder die Frage stellen: Wie bewerkstelligen wir die wachsenden Ansprüche des Gesundheitssystems mit den vorliegenden Möglichkeiten und Ressourcen? Wie können wir die immer schneller wachsenden Ansprüche an eine optimale medizinische Versorgung erfüllen? Mit der Telemedizin kann man zum Beispiel auch die Kolleginnen und Kollegen aktivieren, die nur halbtags von zuhause arbeiten können und ExpertInnen können ortsunabhängig gezielt befragt werden. Beide Seiten, ÄrztInnen und PatientInnen, werden die Vorzüge der Telemedizin schnell bemerken. Dieser Weg ergänzt die Medizin ideal und ist angenehm, rasch, effizient und sehr umweltschonend.