In welchem Bereich haben Sie besondere Expertise?
Jürgen Frost: Neben anderen Fachgebieten, habe ich mich auf die Behandlung und Begleitung von Lipödem-Patientinnen spezialisiert. Nach wie vor findet diese Erkrankung in der offiziellen Versorgungsstruktur kaum Beachtung, obwohl ungefähr 8 bis 10 Prozent aller Frauen weltweit davon betroffen sind. Auch von den Betroffenen wird das Lipödem anfangs meist nicht erkannt. Die Erkrankung verläuft in unregelmäßigen Schüben und beginnt in der Regel mit dem Einsetzen der Pubertät. Bei der weiteren Entwicklung spielen neben hormonellen Einflüssen auch die Lebensweise eine sehr große Rolle – also die Ernährung, die alltägliche Bewegung usw.
Ab einer bestimmten Ausprägung, meist ab Grad 2 oder Grad 3, verursacht das Lipödem sehr vielfältige körperliche und emotionale Beschwerden und Symptome. In meiner Praxis betreue ich etwa 1.200 Patientinnen pro Jahr, die von einem Lipödem betroffen sind. Leider wird dieses Krankheitsbild nicht in der Weise gewürdigt, wie es eigentlich notwendig wäre. In seiner vollen Ausprägung stellt dieses vielschichtige und komplexe Krankheitsbild für die medizinische Versorgungsstruktur eine große Herausforderung dar. Nicht zuletzt aus diesem Grund gibt es zurzeit in Deutschland nur wenige ÄrztInnen, die über eine systematische Ausbildung in diesem Bereich verfügen und sich im Praxisalltag damit beschäftigen.
Das äußere Erscheinungsbild des Lipödems ist durch eine ungleiche Ausformung der Körpersilhouette gekennzeichnet: schmaler Oberkörper, ab der Hüfte sehr breite Ausprägung. Zu Beginn überwiegt die emotionale Belastung bei den alltäglichen Begegnungen. Viele Mädchen und junge Frauen empfinden ihr Körperbild als negativ und ziehen sich zurück. Im Verlauf der weiteren Entwicklung treten bei stärker ausgeprägten Lipödemen die extremen Schmerzen in den Vordergrund. Aufgrund der Komplexität der Erkrankung gibt es leider keine einfachen Behandlungsmöglichkeiten. Viele Betroffene versuchen der Entwicklung mit verschiedensten Diäten oder Sport zu begegnen. Sicher sind diese beiden Bereiche bei der Behandlung eines Lipödems sehr wichtig, doch werden bei der Umsetzung viele Fehler gemacht. Nicht selten machen diese Frauen die enttäuschende Erfahrung, dass sich der Prozess durch diese Maßnahmen im Laufe der Zeit noch verstärkt und die Beschwerden langfristig zunehmen.
Die bekannteste Methode, den Körper weitgehend von den Auswirkungen eines Lipödems zu entlasten, stellt die operative Entfernung der Lipödem-Depots mittels einer Liposuktion dar. Nach der aktuellen Rechtslage dürfen die Krankenkassen erst ab Grad 3 der Erkrankung und nach gutachterlicher Prüfung die Kosten für diesen Eingriff im Einzelfall übernehmen. Unter meinen Patientinnen mit diesem Krankheitsbild hatten in den vergangenen Jahren lediglich 2,3 Prozent Erfolg bei der Kostenübernahme. Im Laufe meiner inzwischen 17-jährigen Beschäftigung mit diesem Krankheitsbild konnte ich zusammen mit anderen KollegInnen in Deutschland und im europäischen Ausland Wege finden und alltagstaugliche Strategien entwickeln, die Symptome so weit zu lindern, dass die Lebensqualität der Betroffenen deutlich gesteigert ist. Auf der Betroffenenebene sind die Patientinnen zum Glück inzwischen schon recht gut organisiert. Aber eine breite und qualitativ hochwertige medizinische Angebotsebene fehlt in vielen Regionen Deutschlands.
Aufgrund dieses Versorgungsmangels, vor allem in der Zeit der Corona-Pandemie, entwickelte sich im Laufe der letzten Jahre die Möglichkeit telemedizinischer Begleitung für dieses Krankheitsbild. Für eine fundierte telemedizinische Begleitung benötigt man vielschichtige Informationen: Fotos, verschiedene Fragebögen zur Ernährung, Bewegung, allgemeine Informationen zu weiteren Erkrankungen, Lebenssituation, Medikamenteneinnahme. Danach folgen individuelle Besprechungen und Anleitungen, die dann passende Verordnungen wie Lymphdrainage, Bestrumpfung, Ernährungsanalyse und Ernährungstherapie usw. ermöglichen. Dieser Part lässt sich gut telemedizinisch organisieren. Weitere sinnvolle körperliche Untersuchungen, Laboranalysen und Ultraschalluntersuchungen kann man unter Umständen über Kooperationen organisieren.
Ich bin niedergelassener Arzt für Gynäkologie und Geburtshilfe. Darüber hinaus habe ich auf der Grundlage verschiedener Ausbildungen einige zusätzliche Ermächtigungen: seit 22 Jahren im Bereich gynäkologischer Onkologie, seit 18 Jahren Schmerztherapie, seit 26 Jahren Psychotherapie und seit über 30 Jahren Naturmedizin, Homöopathie und Akupunktur. Im Laufe meiner beruflichen Entwicklung bin ich viele Wege gegangen, die mich zu dem geführt haben, was ich heute in meiner Praxis anbiete – am ehesten könnte man es als Ganzheitsmedizin bezeichnen. Bei allen Anliegen, Beschwerden und Erkrankungen beziehe ich in gleicher Weise Körper, Geist und Seele ein.
Welche Ihrer medizinischen Schwerpunkte eignen sich für die Telemedizin?
Jürgen Frost: Wenn es um präzise Informationen und Empfehlungen zu Krankheiten geht und eine körperliche Untersuchung nicht unbedingt notwendig ist, können alle Schwerpunkte, die ich in der Praxis anbiete, telemedizinisch abgedeckt werden. Für unterschiedliche Beschwerdebilder oder Problembereiche habe ich differenzierte Informationsbroschüren für meine PatientInnen ausgearbeitet. Im Rahmen der ganzheitlichen Begleitung werden die PatientInnen z.B. in bestimmten Atem- oder Bewegungstechniken geschult. Das kann man sehr erfolgreich auch online machen. In Corona-Zeiten habe ich viel telemedizinisch gearbeitet. Selbst eine komplexe Methode wie Achtsamkeitstraining kann man seriös online durchführen. Die Telemedizin eignet sich gut für Beratungen und Alltagsschulungen. Im Rahmen einer Online-Sprechstunde kann man Wissen vermitteln. So können die Betroffenen ihr Beschwerde- und Krankheitsbild besser verstehen. Gemeinsam kann man unterstützende Schulungen durchführen, sodass sich die PatientInnen nicht mehr so hilflos fühlen müssen.
Schon einige Zeit vor der Pandemie habe ich telemedizinisch gearbeitet. Viele meiner PatientInnen sind nicht aus dem direkten Umland. Daraus hat sich die Notwendigkeit ergeben, Kommunikationskanäle aufzubauen, die unabhängig von der persönlichen Präsenz sind. Dabei ist sowohl den PatientInnen als auch mir selbst aufgefallen, dass dieses Format sehr lebenszeitschonend ist. Wenn man sich vergegenwärtigt, wie viel Zeit Menschen aufbringen müssen, um in meine Praxis zu kommen: Der Weg nimmt zum Teil dreimal mehr Zeit in Anspruch als die Zeitdauer, die PatientInnen in der Praxis verbringen. Das ist nicht stimmig. Dafür eignet sich Telemedizin perfekt.
Wo hat die Online-Sprechstunde ihre Grenzen?
Jürgen Frost: Die Telemedizin hat ihre Grenzen, wenn es um konkrete körperliche und Laboruntersuchungen geht. Beim Thema Kinderwunsch brauchen Sie auf jeden Fall ein Labor. Es muss die Möglichkeit bestehen Ultraschalluntersuchungen durchzuführen und das zu bestimmten Zeiten, beispielsweise beim Zyklusmonitoring. Bei der Untersuchung der männlichen Partner muss es die Möglichkeit gegeben sein, ein Spermiogramm mit einem Labor durchzuführen. Doch auch diese Abläufe lassen sich sehr gut in Kombination mit ergänzenden telemedizinischen Terminen durchführen.