Nachdem 2018 das Fernbehandlungsverbot in Deutschland gelockert wurde, hat die Telemedizin zusehends an Bedeutung gewonnen. Durch die Corona-Krise mit Lockdowns und Kontaktbeschränkungen wurde im Frühjahr 2020 ein regelrechter Run auf Videosprechstunden ausgelöst. Die Antibabypille ist seit Beginn der telemedizinischen Dienstleitungen in Deutschland eines der am häufigsten angefragten Medikamente. Anhand der statistischen Auswertung von Anfragen für Online-Rezepte der Pille wollen wir herausfinden, ob Telemedizin eher von Patientinnen in ländlichen Regionen oder Großstädten genutzt wird.
Ausführliche Informationen zu dem Thema sind in der Studie “Die Antibabypille im Fokus der Telemedizin” zu finden.
Die Geschichte der Verhütung
Heutzutage kaum vorstellbar, aber eine Frau würde im Laufe ihres Lebens 10 bis 20 Kinder gebären, wenn sie überhaupt nicht verhüten würde. Deshalb gibt es kaum eine Frau, für die das Thema Verhütung keine Relevanz hat.
Die Antibabypille ist eine der neueren Entwicklungen auf dem Gebiet der Verhütung. Den Anfang machten bereits 3000 v. Chr. Kondome aus Tierdärmen oder Schwimmblasen von Fischen. In der Antike gab es die abenteuerlichsten Versuche, mithilfe von Krokodilkot und pflanzlichen Zusätzen zu verhüten. Nachdem Charles Goodyear das Verfahren der Vulkanisation erfunden hatte – grob gesagt die Herstellung von Gummi – konnten einige Jahrzehnte später Kondome aus Gummi hergestellt werden. In Deutschland kam 1880 das erste dieser neuartigen Exemplare auf den Markt. In den nachfolgenden Dekaden fanden auch das Diaphragma und die Spirale ihren Weg in die weiblichen Geschlechtstrakte. Revolutionär war die Entwicklung der Pille, denn fortan konnten Frauen selbst bestimmen, ob und wann sie Kinder bekommen. In Deutschland kamen 1961 die ersten Antibabypillen auf den Markt. Infolgedessen kam es Mitte der 60er Jahre zu einem drastischen Rückgang der Geburtenrate – mittlerweile wird diese Theorie des “Pillenknicks” allerdings angezweifelt und es werden andere Ursachen für den plötzlichen Geburtenrückgang gesucht.
Lesen Sie hier den ausführlichen Artikel über die Geschichte der Verhütung.
Nützliches Wissen über die Antibabypille
Auch wenn viele die Generation Z als frühreif und ausschweifend sehen wollen, scheint die "Jugend von heute” mehr auf Liebe und weniger auf Sex zu setzen. Eine Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zur Jugendsexualität hat herausgefunden, dass Jugendliche heutzutage später sexuell aktiv sind als noch vor einigen Jahren. Beim “ersten Mal” wird mit 77 Prozent das Kondom als häufigstes Verhütungsmittel angewendet, gefolgt von der Pille mit 30 Prozent. Generell ist bei den jungen Frauen ein rückläufiger Trend hinsichtlich der Antibabypille zu verzeichnen, da viele diese andauernde Hormongabe als schädlich für ihren Körper empfinden. Bei erwachsenen Frauen ist die Pille mit 47 Prozent Anwendung weiterhin das am meisten genutzte Verhütungsmittel, dicht gefolgt vom Kondom mit 46 Prozent.
Der Wirkmechanismus der Pille beruht auf den Hormonen Östrogen und Gestagen bzw. deren chemisch hergestellten Derivaten. Diese Hormone sind auch natürlicherweise im weiblichen Körper vorhanden, allerdings in vom Zyklus abhängigen Mengen. Die zusätzliche Einnahme dieser Hormone verursacht im weiblichen Körper mehrere azyklische Veränderungen, welche eine Empfängnis sehr zuverlässig verhindern:
Die Viskosität des Gebärmutterhalsschleimes wird erhöht, das heißt, der Schleim wird dickflüssiger und somit weniger durchlässig für die Spermien.
Die Beweglichkeit der Spermien wird eingeschränkt.
Der Eisprung wird unterdrückt.
Die Pille ist, wie alle hormonellen Verhütungsmethoden, bei korrekter Einnahme ein sehr zuverlässiges Verhütungsmittel. Sie hat einen Pearl-Index von 0,1 bis 0,9. Das bedeutet, dass in 100 Verhütungsjahren weniger als eine Schwangerschaft eintritt, oder anders formuliert: Wenn 100 Frauen ein Jahr lang mit der Pille verhüten, dann wird – statistisch gesehen – allerhöchstens eine schwanger. Ganz ohne Verhütung beträgt der Pearl-Index übrigens 85.
Telemedizin in Deutschland
Laut Duden steht der Begriff Telemedizin für den “Einsatz von Mitteln der Telekommunikation zu medizinischen Zwecken (z. B. Diagnostik)”. Dabei kann es sich um eine altertümliche Kommunikation via Morseapparat, eine Verständigung via Telefon, die Betreuung auf Distanz von Astronauten auf der Raumstation, oder um die heutzutage immer beliebter werdende Online-Sprechstunde handeln. Der Grundsatz der Telemedizin lautet “Move the information, not the patient” (“Bewege die Information, nicht den Patienten”).
In den letzten Jahren hat sich die Telemedizin im Sinne einer Online-Sprechstunde zusehends weiterentwickelt, auch wenn Deutschland im weltweiten Vergleich noch hinterherhinkt. Bis 2018 gab es ein strenges Fernbehandlungsverbot, welches besagte, dass der Erstkontakt zwischen ÄrztInnen und PatientInnen immer persönlich vor Ort stattzufinden hat. Nach der Überarbeitung dieses Paragraphen der Musterberufsverordnung der ÄrztInnen durften ab 2018 unter bestimmten Voraussetzungen auch Fernbehandlungen am Telefon oder per Videokommunikation ohne zwingenden persönlichen Erstkontakt durchgeführt werden. Im Oktober 2019 wurde die Erstattung durch die gesetzlichen Krankenversicherungen erweitert. Aufgrund der Corona-Pandemie wurden die strengen Regelungen zur Nutzung und Abrechnung von telemedizinischen Leistungen im März 2020 vorerst gelockert.
Im Jahr 2020 gab es, getrieben durch Lockdowns und Kontaktverbote, einen regelrechten Boom auf dem telemedizinischen Sektor.
Die Abrechnung von Videosprechstunden ist vom vierten Quartal 2019 (1.592) zum ersten Quartal 2020 (202.123) sprunghaft auf das 127-fache Volumen angestiegen.
Das Suchvolumen für “Sprechstunde online” bei Google Trends verzeichnete von Februar 2020 zu April 2020 einen Anstieg um 900 Prozent.
Bei der Datenbank für wissenschaftliche Veröffentlichungen (PubMed) gab es 2020 über 80 Prozent mehr Veröffentlichungen mit dem Schlagwort “telemedicine” als noch 2019.
Ist es legal, die Antibabypille online zu bestellen?
Jein. Einfach das Medikament in den virtuellen Einkaufswagen packen, bezahlen und fertig – das geht nicht (jedenfalls nicht bei seriösen deutschen Anbietern). Die Pille ist in Deutschland rezeptpflichtig. Das heißt, ein Arzt oder eine Ärztin muss ein Rezept ausstellen, welches die Patientin dann in einer (Online-) Apotheke einlösen kann. Mittlerweile ist diese Rezeptausstellung durch zugelassene deutsche ÄrztInnen auch online möglich. Also muss Frau für den Nachschub der Antibabypille nicht einmal das Haus verlassen. Rezept-Anfrage und -Ausstellung, Online-Apotheke und Lieferung nach Hause sind bereits möglich. Zusätzlich kann in Online-Sprechstunden z. B. eine Beratung zur Antibabypille oder anderen Verhütungsmethoden stattfinden.
Achtung: Der Erstverschreibung der Antibabypille muss eine körperliche Untersuchung vorausgehen, das ist folglich nicht via Telemedizin möglich!
Deutschlandweiter Vergleich der Online-Rezeptanfragen für die Pille
Mithilfe des Bestellverhaltens der Bevölkerung beim Telemedizin-Portal Fernarzt.com wollten wir herausfinden, woher die meisten Anfragen für Online-Rezepte der Antibabypille kommen. Sind die im Durchschnitt jüngeren Großstädterinnen vorne, oder nutzen die Bewohnerinnen ländlicher Region diese Möglichkeit, um lange Fahrtwege zu vermeiden? Für die Analyse wurde die Anzahl der Pillen-Anfragen mit der Anzahl der weiblichen Einwohnerinnen verrechnet, um sowohl unter den Bundesländern, als auch bei den Städten und in ländlichen Regionen einen Vergleich anstellen zu können.
Auf Bundesebene liegen die Stadtstaaten Berlin und Hamburg bei den Anfragen pro Einwohnerin ganz vorne. Hamburg hat deutschlandweit den jüngsten Altersdurchschnitt der Bevölkerung (42,6 Jahre), dicht gefolgt von Berlin (42,6 Jahre). In beiden Stadtstaaten leben vor allem Personen zwischen 18 und 45 Jahren, also statistisch gesehen sehr viele Frauen im gebärfähigen Alter. Bundesländer mit den wenigsten Anfragen sind das Saarland und Hessen. Beide haben eine sehr alte Bevölkerung und einen Schwerpunkt bei den 45- bis 70-Jährigen.
Betrachtet man die einzelnen Städte (mit über 100.000 Einwohnern), so kommen die meisten Pro-Kopf-Anfragen für Online-Rezepte der Pille aus Regensburg (Bayern); Schlusslicht ist Mülheim an der Ruhr (Nordrhein-Westfalen).
- Regensburg (Bayern)
- Leipzig (Sachsen)
- Mainz (Rheinland-Pfalz)
- Magdeburg (Sachsen-Anhalt)
- Oldenburg (Oldb) (Niedersachsen)
- Trier (Rheinland-Pfalz)
- Bottrop (Nordrhein-Westfalen)
- Potsdam (Brandenburg)
- Offenbach am Main (Hessen)
- Essen (Nordrhein-Westfalen)
Weiterhin wurde untersucht, ob die Pillen-Anfragen eher aus ländlichen Gebieten oder aus Großstädten kommen. Dabei hat sich herausgestellt, dass aus den dichtbesiedelten Großstädten 33 Prozent mehr Anfragen kommen als aus den dünn besiedelten ländlichen Regionen. Obwohl für die Frauen auf dem Land der Weg zu GynäkologInnen viel umständlicher ist, scheint die Telemedizin dort noch nicht so breitflächig akzeptiert zu sein wie unter den Großstädterinnen.
Wie sich ganz einfach 2,5 Tage Lebenszeit einsparen lassen
Laut einer Umfrage benötigen 3 von 10 Frauen 45 Minuten und länger für die Strecke zu ihrer Frauenarztpraxis. Bei knapp 1 von 10 Frauen sind es sogar 60 Minuten und länger, also über eine Stunde Fahrzeit für eine Richtung.
Wie viel Zeit verbringt eine Frau im Schnitt im Auto, die über eine Stunde Anfahrtszeit zur Praxis hat?
Vorsorgeuntersuchungen: durchschnittlich 72 Termine, also 144 Stunden Fahrzeit
Schwangerschaft: für eine Schwangerschaft fallen etwa 14 gynäkologische Termine an, bei zwei Schwangerschaften sind das 56 Stunden Fahrzeit
Rezeptausstellung Antibabypille: da alle 6 Monate ein neues Rezept benötigt wird, kommen hier ca. 30 Termine, zusätzlich zu den jährlichen Vorsorgeuntersuchungen, zusammen; das ist eine Fahrzeit von 60 Stunden
Insgesamt kommt eine Frau, die eine Stunde entfernt von ihrem Gynökologen wohnt, laut dieser Modellrechnung auf 260 Stunden reine Fahrzeit (ohne Wartezeiten). Das sind knapp 11 Tage im Auto! Durch Telemedizin können z. B. die Fahrten, die nur für den Erhalt eines Rezeptes unternommen werden, komplett eingespart werden; das sind insgesamt etwa 60 Stunden (2,5 Tage) reine Fahrzeit. Neben der beachtlichen Zeitersparnis werden auch die Kosten reduziert und die Umwelt geschont.
Chancen der Telemedizin beim Frauenarzt
Deutschland wird immer älter. Im hohen Alter werden durch chronische Beschwerden mehr Arztbesuche nötig. Gleichzeitig gibt es in Deutschland immer weniger LandärztInnen, auch FachärztInnen sind vorzugsweise in Ballungsräumen zu finden. Verschiedene Studien haben herausgefunden, dass die Gesundheit eines Menschen in direktem Zusammenhang zur Entfernung der medizinischen Versorgungsmöglichkeiten steht. Da es nicht abzusehen ist, dass sich diese Trends umkehren, muss man den Zugang zur medizinischen Versorgung anders gewährleisten. Die Telemedizin kann hier einen bedeutenden Beitrag leisten. Dabei soll sie nicht etwa den persönlichen Kontakt zwischen ÄrztInnen und PatientInnen ersetzen, sondern ergänzen.
Bei FrauenärztInnen könnte das bedeuten, dass die Rezeptausstellungen für hormonelle Verhütungsmittel im Rahmen einer digitalen Konsultation stattfinden. Auch können Fragen zu Verhütung, Schwangerschaft und anderen Themen in einer Online-Sprechstunde beantwortet werden. Idealerweise betreut der gleiche Arzt bzw. die gleiche Ärztin die jeweilige Patientin in der Praxis und bei telemedizinischen Konsultationen. Wünschenswert ist auch, die Online-Betreuungsangebote durch weiteres Fachpersonal, wie z. B. Hebammen, zu ergänzen.
Die ausführlichen Zahlen und Hintergründe sind in der Fernarzt Studie “Die Antibabypille im Fokus der Telemedizin” zu finden.
Quellen
(Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte. Bundesärztekammer. 2018.
Demografieportal des Bundes und der Länder. https://www.demografie-portal.de
Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. (DGGG): S3-Leitlinie "Hormonelle Empfängnisverhütung" Langversion. AMWF Register-Nr. 015/015). 2020.
Deutscher Bundestag: Unterrichtung durch die Bundesregierung - Drucksache 19/25185. 2020. https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/251/1925185.pdf
Forschung Sexualaufklärung: Jugendsexualität 9. Welle. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. 2019. https://www.forschung.sexualaufklaerung.de/jugendsexualitaet/jugendsexualitaet-neunte-welle/ (zugegriffen 02. August 2022)
Forschung Sexualaufklärung: Verhütungsverhalten Erwachsener. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. 2018. https://www.forschung.sexualaufklaerung.de/verhuetung/verhuetungsverhalten-2018/ (zugegriffen 02. August 2022)
Gemeinsamer Bundesausschuss: Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Abnahme des Endberichts „Gutachten zur Weiterentwicklung der Bedarfsplanung i.S.d. §§ 99 ff. SGB V zur Sicherung der vertragsärztlichen Versorgung“. 2018. https://www.g-ba.de/downloads/39-261-3493/2018-09-20_Endbericht-Gutachten-Weiterentwickklung-Bedarfsplanung.pdf
Google Trends. Suchbegriff „Sprechstunde online“, Zeitraum 01. Mai 2019 bis 05. Mai 2021. https://trends.google.de/trends/explore?q=sprechstunde%20online&geo=DE (zugegriffen 02. August 2022)
Khan F, Mukhtar S, Dickinson IK, Sriprasad S: The story of the condom. Indian J Urol 2013; 29: 12–5.
MUVS Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch. Die Pillenstory: Eine vergessene Revolution. https://muvs.org/de/themen/verhuetung/die-pillenstory-eine-vergessene-revolution/ (zugegriffen 02. August 2022)