Wann genau spricht man "vorzeitigem" Samenerguss?
Als vorzeitiger Samenerguss (Ejaculatio praecox) wird eine Ejakulation bezeichnet, die vor sexuellem Kontakt oder nach minimaler Stimulation geschieht. Hierbei kann es beim Betroffenen zu einem Krankheitsgefühl und damit verbundener Beeinträchtigung der Sexualität kommen. Dabei haben sich verschiedene Kriterien zur Abgrenzung bewährt.
Es liegt eine ungewollte Zeit vom Eindringen in die Vagina bis zum Samenerguss von weniger als 1 bis 2 Minuten vor.
Diese Zeitspanne wird auch als „intravaginale Ejakulationszeit“ bezeichnet und sollte zu Diagnosezwecken gemessen werden. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Zeit bis zur Ejakulation liegt bei gesunden Männern bei ungefähr 5,4 Minuten.
Diese kurze Zeit bis zur Ejakulation wird als nicht zu beeinflussen empfunden. Der Betroffene hat den Eindruck, es fehle ihm die Kontrolle einen sehr frühen Samenerguss verhindern zu können.
Es werden negative persönliche Folgen von Seiten des Betroffenen angegeben. Das können zum Beispiel Unzufriedenheit, Frustration oder Angst sein, was langfristig zur Vermeidung von sexueller Interaktion führen kann. Probleme in der Partnerschaft können dabei sowohl Ursache, als auch Folge des Problems sein.
Zusätzlich muss ausgeschlossen werden, dass der vorzeitige Samenerguss nicht durch äußere Faktoren wie sexuelle Enthaltsamkeit, eine neue sexuelle Situation oder Substanzen, wie Drogen oder Medikamente ausgelöst wird.
Somit hat vorzeitiger Samenerguss, neben der körperlichen, auch eine entscheidende psychische Komponente, die es zu bedenken und im Zweifel auch zu behandeln gilt. Studien haben gezeigt, dass die Erkrankung letztlich zu größeren Problemen mit dem Partner führen kann und oft die Beziehung stört. Die Teilnehmer dieser Studie deuteten an, dass es sie in ihrer Intimität in der Beziehung behinderte, selbst wenn sie und ihre Partner grundsätzlich mit dem Geschlechtsverkehr zufrieden waren.
Wie viele Männer sind von vorzeitigem Samenerguss betroffen?
Vorzeitiger Samenerguss ist keine Seltenheit, ganz im Gegenteil: Es ist die häufigste sexuelle Funktionsstörung beim Mann. Abhängig von der gewählten Definition, wird in Studien beschrieben, dass ungefähr 20 bis 30 Prozent aller Männer an vorzeitiger Ejakulation leiden.
Dabei unterscheiden sich die Ergebnisse der Studien teilweise relativ stark, vermutlich weil unterschiedliche Definitionen und Fragebögen benutzt werden. Eine Studie zu dem Thema zeigte, dass vorzeitiger Samenerguss in allen Altersklassen ungefähr gleich häufig vorkommt, die Prävalenz bei Männern über 50 Jahren etwas höher lag.
Trotz der Häufigkeit dieser Erkrankung und verschiedener Behandlungsoptionen, lassen sich nur sehr wenige Männer ärztlich beraten oder versuchen sie therapeutisch zu behandeln. So zeigte eine Studie, dass nur 9 Prozent der Betroffenen einen Arzt aufsuchten und diejenigen, die dies taten mit der Behandlung nicht zufrieden waren. Warum sich nur so wenige Männer, die an vorzeitigem Samenerguss leiden, einem Mediziner anvertrauen ist spekulativ. Vielleicht spielt Scham vor dem Eingeständnis ein sexuelles Problem zu haben eine Rolle. Möglicherweise wissen viele Betroffene aber auch einfach nicht, dass es mit der Urologie eine Fachrichtung gibt, die sich unter anderem mit solchen Themen beschäftigt und verschiedene Therapieoptionen zur Lösung des Problems bereithält. Deshalb sollte nicht damit gezögert werden, medizinischen Rat in Anspruch zu nehmen und gemeinsam über mögliche therapeutische Optionen zu sprechen. Wer an vorzeitigem Samenerguss leidet steht nicht alleine da und hat unterschiedliche Möglichkeiten das Problem anzugehen.
Ursachen für vorzeitigen Samenerguss
Man unterscheidet die Ursachen für vorzeitigen Samenerguss in psychogene und körperliche.
So können Fehlkommunikation, Streit und Stress mit dem Beziehungs- oder Sexualpartner und damit verbundene Angst zu einer vorzeitigen Ejakulation führen. Ungeklärte Konflikte können sich bei einer psychologischen Komponente langfristig negativ auf die Prognose auswirken.
Organische Ursachen sind unter anderem eine Fehlfunktion des Nervensystems, das heißt zum Beispiel eine übermäßige Sensibilität der Eichel. Vorzeitiger Samenerguss kann auch als Folgen einer anderen Grunderkrankung, wie einer Prostataentzündung, erektiler Dysfunktion oder Erkrankungen der Schilddrüse, auftreten.
Bei der erektilen Dysfunktion, also der eingeschränkten oder fehlenden Fähigkeit eine Erektion zu bekommen und diese dann aufrecht zu erhalten, ist der vorzeitige Samenerguss oft eine zusätzliche Komponente. Auch gibt es eine Studie, die herausgefunden hat, dass die Zeit bis zur Ejakulation von Teilnehmern mit einer bestimmten angeborenen Variante der Übertragung des Botenstoffs Serotonin verkürzt war. Hierbei handelt es sich um das sogenannte “Glücks-Hormon”. Das gibt Hinweise darauf, dass diese Einschränkung zumindest teilweise vererbt wird.
Wie wird vorzeitiger Samenerguss diagnostiziert?
Das wichtigste Mittel zur Diagnose des vorzeitigen Samenergusses ist die medizinische und sexuelle Krankengeschichte des Betroffenen. Dazu sollten die oben genannten Definitionskriterien abgefragt werden.
Als fester Wert muss natürlich die Zeit bis zur Ejakulation ermittelt werden. Man sagt, dass diese bei 1 bis 2 Minuten nach Eindringen in die Vagina liegen muss um die Diagnose stellen zu können. Auch wenn eine knapp darüber liegende Zeit vom Betroffenen oft als unangenehm oder nicht ausreichend empfunden wird, gilt dies streng genommen nicht als vorzeitiger Samenerguss.
Zusätzlich muss aber auch die psychologische Komponente der Erkrankung, also zum Beispiel der selbst empfundene Leidensdruck, als entscheidendes Kriterium zur Diagnosestellung, herangezogen werden. Oft liegt für den Betroffenen hier das viel größere Problem, in dem es das Selbstvertrauen und die innere Zufriedenheit beeinträchtigt.
Wie kann vorzeitiger Samenerguss behandelt werden?
Die Therapie des vorzeitigen Samenergusses bietet verschiedene medikamentöse und nicht-medikamentöse Optionen. Diese können je nach Ursache und Ausprägung der Erkrankung gewählt werden und sollten im Vorfeld ausreichend diskutiert und abgewogen werden. Dabei kann es sinnvoll sein, unterschiedliche Methoden zu kombinieren, um die Wirksamkeit weiter zu erhöhen.
So zeigte eine Studie, dass es durch die Anwendung verhaltenstherapeutischer Techniken und gleichzeitiger Einnahme von entsprechenden Wirkstoffen, zu einer ausgeprägteren Verlängerung der Zeit bis zum Samenerguss kam, als bei alleiniger Einnahme des Medikaments. Die Leitlinien der EAU (European Association of Urology) empfehlen allerdings bei der lebenslangen Form des vorzeitigen Samenergusses Verhaltenstechniken nicht für die Erstbehandlung empfohlen. Sie seien zeitintensiv, erfordern die Unterstützung durch den Partner und können unter Umständen schwierig durchführbar sein. Darüber hinaus gibt es keine langfristigen Ergebnisse zu diesen Verhaltenstechniken.
Wichtig ist, dass zuerst andere Grunderkrankungen, die zu einer vorzeitigen Ejakulation führen können, wie eine Prostata-Entzündung oder erektile Dysfunktion ausgeschlossen, beziehungsweise angemessen behandelt werden. Auch sollte mit dem Betroffenen besprochen werden, was seine Erwartungen an die Therapie sind.
Vor allem im asiatischen Raum werden inzwischen zusätzlich operative Optionen angeboten, bei denen eine Durchtrennung oder Unterbrechung der Nervenweiterleitung herbeigeführt wird. Diese Methoden sind in Europa und den USA aber weder verbreitet noch werden sie aktuell empfohlen.
Medikamentöse Therapie
Lokale Anwendung
Zur Anwendung im Bereich der Eichel können Salben oder Sprays verwendet werden, die ein Lokalanästhetika, enthalten. So wird die Empfindlichkeit der Eichel herabzusetzen und damit verhindert, dass es zu einer übermäßig schnellen Stimulation kommt. Zusätzlich kombiniert werden können diese Salben oder Sprays mit einem Kondom, um die Empfindsamkeit der Scheide nicht auch herab zu setzen. Diese Wirkstoffe wirken meist sehr schnell und können für den gewünschten Effekt unmittelbar vor dem Geschlechtsverkehr aufgetragen werden.
Systemische Anwendung
Es gibt unterschiedliche Medikamente, die den vorzeitigen Samenerguss hinauszögern können. Die meisten davon stammen aus der Gruppe der Antidepressiva und sorgen dafür, dass die Übertragung von bestimmten Botenstoffen im Gehirn verändert wird. Alle anderen in der Therapie des vorzeitigen Samenergusses verwendeten Medikamente sind Off-Label-Indikationen. Das bedeutet, dass die Medikamente eigentlich für eine anderer Erkrankung zugelassen sind, aber manchmal von Ärzten für Diagnosen verschrieben werden bei denen sie gut wirken und wenig Nebenwirkungen haben. Langfristige Ergebnisse sind auch für die pharmakologische Behandlung nicht bekannt.
Serotonin-Wiederaufnahmehemmer
Medikamente die zur Gruppe der selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer gehören, haben eine kurze, reversible Wirkdauer. Das bedeutet, dass dieser Wirkstoff verhindert, dass der “Glücks” Botenstoff Serotonin wieder in der Zelle aufgenommen wird, und länger wirken kann Hierbei ist nicht genau bekannt wie und warum das zum gewünschten Effekt, also einer längeren Zeit bis zur Ejakulation, führt.
Studien konnten bei 1 bis 3-stündiger Einnahme vor Sexualverkehr eine eindeutige Wirksamkeit von dieser Arzneigruppe in Bezug auf die verlängerte Zeit bis zum Samenerguss zeigen. Dabei wurden sowohl eine Dosierung von 30 mg, als auch 60 mg untersucht und für wirksam erachtet. Auch konnte kein Unterschied in Bezug auf die Form des vorzeitigen Samenergusses festgestellt werden. Die Therapie konnte sowohl für die angeborene (primäre), als auch die im Laufe des Lebens erworbene (sekundäre) Form gute Ergebnisse zeigen.
Andere Medikamente
Andere Medikamente zur Anwendung bei vorzeitigem Samenerguss sind unter anderem die langwirksamen Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, welche eine Wirkeintritt nach 1 - 2 Wochen haben. Somit müssen diese, genau wie bei der Behandlung einer Depression, für den gewünschten Effekt dauerhaft eingenommen werden.
Zusätzlich konnte auch die Wirksamkeit von bestimmten trizyklischen Antidepressiva gezeigt werden, welche ungefähr 5 Stunden vor dem Geschlechtsverkehr eingenommen werden sollte.
Auch die Kombination oder alleinige Therapie mit PDE-5-Hemmern, die normalerweise für die erektile Dysfunktion eingesetzt werden, wurde in Studien untersucht. Eine eindeutige Wirksamkeit, bezogen auf die verlängerte Zeit bis zur Ejakulation, konnte dabei nicht gezeigt werden. Allerdings steigerten sie das Selbstvertrauen, die selbst empfundene Ejakulationskontrolle und die allgemeine sexuelle Befriedigung und verringerte so Angstzustände. Außerdem verkürzten sie die Zeit, die benötigt wird, um nach der Ejakulation eine erneute Erektion zu ermöglichen
Nicht-medikamentöse Therapie
Um eine vorzeitige Ejakulation zu verhindern gibt es unterschiedliche nicht-medikamentöse verhaltenstherapeutische Techniken, die sich, vor allem für die erworbene Form, in der praktischen Anwendung bewährt haben. Bevor eine medikamentöse Therapie begonnen wird, kann es ratsam sein, es mit diesen relativ simplen Methoden zu versuchen.
Stopp-Start-Methode
Diese Methode funktioniert, in dem kurz vor dem drohenden Samenerguss die Stimulation des Penis durch den Betroffenen oder seinen Sexualpartner unterbrochen wird. Fortgesetzt wird die erneute Stimulation erst, wenn der Ejakulationsdrang vollständig verschwunden ist.
Squeeze-Methode
Bei dieser Technik wird kurz vor dem Samenerguss so lange Druck auf die Eichel ausgeübt, bis der Drang zur Ejakulation nachlässt und eine erneute Stimulation möglich ist. Diese Verhaltensstrategien basieren auf der Annahme, dass es zu vorzeitigem Samenerguss kommt, weil der Mann die erhöhte Erregung nicht rechtzeitig erkennt oder verhindern kann.
Es gibt verschiedenste Abwandlungen dieser Techniken, typischerweise werden aber beide Methoden in einem Zyklus von drei Wiederholungen angewendet, bis es zu einem Orgasmus kommt. So soll es auf Dauer dazu kommen, dass der Betroffene schrittweise einer immer längeren Stimulation ausgesetzt werden kann und dabei trotzdem unterhalb der Schwelle zum Orgasmus bleibt.
Selbstbefriedigung vor dem Sex oder die Verwendung eines Kondoms als Mittel, um die Zeit bis zum Orgasmus heraus zu zögern, ist ebenfalls gängige Praxis. Hiermit wird die Empfindlichkeit des männlichen Gliedes herabgesetzt und so eine übermäßige Erregung hinausgezögert.
Auch Beckenbodentraining wird teilweise zur Behandlung genutzt. Wenn die Ursache des vorzeitigen Samenergusses psychischer Natur ist, das heißt zum Beispiel durch ungelöste Probleme in der Partnerschaft, ist der einfachste Weg das Gespräch zu suchen. Ein offener Umgang mit der Erkrankung ist in jedem Fall hilfreich, da es den zusätzlichen Druck herabsetzt und sonst die Partnerschaft negativ beeinflussen kann. Auch psychologische Beratung kann in einigen Fällen indiziert sein und sollte mit in die Überlegung einbezogen werden, falls andere Methoden nicht wirken.
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